Zeitzeugen-Interview für die „sprechenden Bäume“ am 14.03.2020

Unser Mitglied Harald Stobinski stellte sich Dr. des. Jan Behnstedt, dem künstlerischen Leiter des Projekts Lichtsinfonie als Zeitzeuge für ein Interview zur Verfügung. Die Rohaufnahmen werden künstlerisch bearbeitet und sollen zu einem der „sprechenden Bäume“ am 14.03.2020 auf dem St.-Gebhard-Platz werden. Lesen Sie, wie Harald Stobinski in seinem eigenen Konzept die Erinnerungen beschreibt:

 Meine Kurz-Tour durch 5 Jahrzehnte

Ich bin 1957 geboren und aufgewachsen am Gebhardsplatz gegenüber der Schule. Für vielleicht insgesamt 10 Jahre lebte ich an anderen Orten. Tatsächlich wohne ich insgesamt eine lange Zeit im 4. Obergeschoss in unmittelbarer Nähe zum Hochhaus. So kann ich den Wandel an einem zentralen Ort im größten Konstanzer Stadtteil über einen längeren Zeitraum verfolgen und aus persönlicher Sicht beschreiben.

 1957 -1967 - vor der Überbauung des Areals

Noch zur Zeit als Grundschüler war das Gelände vor der Gebhardschule eine geschotterte Mehrzweckfläche, ein Platz, wo auch die noch lange auf dem Döbele beheimatete Messe mit Karussell, Autoscooter und anderem stattfand. Das Schulareal - heute als Ensemble ein Kulturdenkmal des Landes - trennte noch eine alte Mauer vom Platz. Westlich bis zur Jahnstraße war eine Brachfläche mit Wiese, Tümpeln und einigen Bäumen für uns Kinder ein oft besuchter Abenteuerspielplatz nahe der Schule.

 1967 – 1971 - Errichtung von Hochhaus, Technikgebäuden und Parkanlage

Der Baubeginn des Hochhauses wurde sichtbar durch einen hohen Holzzaun an der Grenze zum Platz. Als Kind hatte ich zu Hause von oben einen Logenplatz.

Die Großbaustelle benötigte nicht den großen Platz vor der Schule, sondern wurde vollständig von Moltke- und Jahnstraße erschlossen.

Auf dem Platz wurde auch gebaut: die neue städtische Parkanlage mit angelegten und beleuchteten Wegen, Ruhebänken, Abfallkörben , Rasenflächen, Blumenbeeten, Wasserspielen, Büschen und Bäumen. Der Park war schon komplett fertig, da stand das Hochhaus 1969 erst bis zur halben Höhe im Rohbau. Die Mauer vor der Schule war auch weg.

 1971 bis heute - Aufstieg und Verfall

Markant zeigte sich bald die Mitte Petershausens in der Stadtsilhouette. Damals Wendemarke von Kunstflugstaffeln beim Seenachtsfest, ist der Antennenturm heute noch Orientierungspunkt für Rundflüge des neuen Zeppelin.

Viele hundert Beschäftigte im Hochhaus wie auch im Techniktrakt, Kunden und Lieferanten belebten das Gebiet ganzjährig. Die neue Postfiliale im Pavillon war sofort ein Magnet, ebenso der Telekomladen im Hochhaus. Lange Zeit war auch die Betriebskantine im obersten Geschoss für Gäste zugänglich: welch ein Ausblick! - oft sogar mit Zugang zur Aussichtsplattform unter dem Antennenwald.

Als die Telekom diesen Ort verließ, waren noch für Jahre Büros Anlass für Publikumsverkehr, zuletzt allerdings nur noch spärlich bis zur Schließung der Postfiliale im vergangenen Jahr.

 Hoffnung auf die Zukunft:

Der Ort soll wieder ganzjährig belebt sein. Erkenntnisse der Vergangenheit sollen zukünftige Fehlentwicklungen vermeiden:

Die Postfiliale wird am stärksten vermisst, weil sie dort für Kunden wie Lieferanten gut erreichbar war. Sie sollte an diesen zentralen Ort zurückkehren.

Wenn das Hochhaus weg von der Büro-Einheitsarchitektur der 60er Jahre neu als attraktiver Wohnturm bezugsfertig wird, sollte zeitgleich auch der vernachlässigte Park allen Nutzern wieder in vollem Umfang dienen können.

Damals wurde der neue Park noch vor dem Hochhaus fertig. Weil hohe bauliche und verkehrliche Dichte an zentraler Stelle Aufenthaltsqualität benötigt, war schon von Beginn an eine geschützte öffentliche Grünfläche als Ausgleich nutzbar. Der Park war nie zur Erschließung des bebauten Areals nötig. Durchgangsverkehr konnte dort nicht stattfinden.

 Zum Schluss:

Wichtigstes Ereignis: der Bau von Hochhaus mit Park

Negativstes Ereignis: die allmähliche Verödung nach Abzug der Telekom

Schönstes Erlebnis: die einmalige Aussicht von oben

Zukunftswunsch: wieder belebtes Areal mit größerer Wertschätzung der Parkanlage
für die Bauzeit: Kontaktstelle, wenn trotz geltender Regeln Belastungen für die Umgebung auftreten.

Erkenntnis: War man damals schon weiter, weil öffentlicher Raum mit Aufenthaltsqualität bei Verdichtung im Zentrum mitgeplant und zeitgleich nutzbar wurde, während heute selbst bestehende öffentliche Freiräume nicht vor Vernachlässigung und Begehrlichkeiten sicher sind?

 

Harald Stobinski, im Februar 2020

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