Die Entwicklung des Stadtteils nach der Kloster-Ära

Der Aufschwung Petershausens begann in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts. Einerseits sollte es der erste Standort einer intensiven Industrialisierung werden, (hier hatte es schon Anfang des Jh. durch "Herosè" erste Ansätze gegeben), andererseits siedelten sich an seiner "Schokoladenseite" – der Konstanzer Bucht – die Besitzer der Fabriken und andere eher betuchte Bürger an. Dies hatte weitreichende Konsequenzen für die bauliche Gestaltung des Stadtteils sowohl westlich als auch östlich der "alten" Rheinbrücke.

Die wirtschaftliche Entwicklung, die sich in der Vergrößerung von Petershausen wiederspiegelte, begann formal mit der 1862 eingeführten Gewerbefreiheit. Treibende Kraft der Industrialisierung war der 1866-77 regierende (Ober-) Bürgermeister Max Stromeyer, ein überzeugter Liberaler. Er wollte die Grundvoraussetzungen schaffen für eine wesentliche Erweiterung der Stadt auch auf rechtsrheinischer Seite. Er ließ die Seestraßenpromenade errichten, geriet aber in den 1870er Jahren in den Strudel der "Gründerkrise": Die angedachte Überbauung des "Vincent'schen Gutes" misslang aus finanziellen Gründen, und das heute noch bestehende Seestraßenensemble entstand erst um die Jahrhundertwende. Auch das auf dem Gelände des heutigen "Büdingen-Parks" 1875 entstandene Bad-Hotel ("Konstanzer Hof") ging schon ein Jahr später bankrott und wurde in ein Sanatorium verwandelt.

Das wichtigste industrielle Großprojekt sollte die 1885 erfolgte Verlegung der Fa. Ludwig Stromeyer (Stiefbruder des BM) aus der Altstadt (etwa Münzgasse) an den Lohnerhof und die Errichtung einer nach damaligen Verhältnissen topmodernen Fabrikanlage werden. Mit ihr wurden viele Arbeitsplätze geschaffen, sie bildete in den kommenden Jahrzehnten das Rückgrat der Konstanzer Industrie und ihre Zeltkonstruktionen wurden in die ganze Welt verkauft.

1872 errichtete die Stadtverwaltung das neue Krankenhaus im Gewann "Neugut", etwa heutiger Standort.

Th.-Heuss-Strasse 04.2009Im Bereich des heutigen St. Gebhard-Platzes sollte ein zentraler "Kaiserplatz" Kern einer strahlenförmig auf diesen ausgerichtete Straßenführung sein und eine neobarocke Kirche den Platz schmücken. Von den Straßen wurde nur die "Wilhelmstraße" (heutige Theodor-Heuss-Str.) ausgeführt, die St. Gebhardskirche konnte erst 1929, und in ganz anderem Stil als zunächst geplant, gebaut werden.

Erst nach der "Gründerkrise" Ende der 1880er Jahre konnte die Bebauung der Seestraße begonnen werden und es wurde immer klarer, dass Petershausen ein gewichtiges Zentrum der Stadt werden würde.
Mit der 1909 errichteten Petershauser Volksschule (heute Gebhardschule und Th.-Heuss-Realschule), sowie der Verlegung des (heutigen) Heinrich-Suso-Gymnasiums im Jahre 1911 nach Petershausen wurde der demografischen Entwicklung dieses Stadtteils Rechnung getragen.
Gegründet – und zunächst vom Jesuiten-Orden betreut – wurde das Gymnasium im Jahre 1604 linksrheinisch an der heutigen Konzilstraße im Gebäude des heutigen Stadttheaters und dem südlich anschließenden Bau, der jetzt die "Münsterbauhütte" ("Vermögen und Bau, Land Baden-Württemberg"), sowie z.Zt. das "Jobcenter" beherbergt.

Zurück zum Ende des 19. Jahrhunderts. Eben in dieser Zeit wurden die Villen entlang der Seestraße weiter ausgebaut oder neu errichtet: Die Villa Rosenau z.B. erhielt ihr Gesicht 1874/75 im italienischen Renaissance-Stil und konnte sogar einen eigenen Hafen vorweisen, (heute noch weithin sichtbar das kleine Teehaus am Ufer). Sie wurde 1973 abgebrochen und an deren Stelle das "Parkwohnstift Rosenau" gebaut.
Auch an der Mainaustraße, der man als Chausseestraße nach Allmannsdorf ihren späteren Charakter als Hauptverkehrsachse noch nicht ansah, wuchsen prachtvolle Villen wie die heute noch zu sehende Villa Bader an der Abzweigung zur Neuhauser Straße, oder die Villa Hirsch schräg gegenüber (Nr. 25).
Ein ebenfalls attraktives Beispiel jener Baukunst steht am Ende der Seestraße. Die im klassizistischen Stil errichtete "Villa Prym" (ehem. "Villa Hammer") zeigt auf ihrer Fassade Jugendstil-Malerei in prächtigen, weitgehend noch originalen Farben.

Das Militär hatte im 19. und auch noch im 20. Jh. immer eine prägende Rolle in Petershausen gespielt: 1873 wurde ein Mannschaftsgebäude innerhalb des Kasernengeländes (heute Polizeidirektion) errichtet, 1878 das Militärhospital an der Friedrichstraße, 1899 dann das Offizierskasino am Seerhein (heute Rest. "Seerhein"), 1913 die Jägerkaserne.

Die Firma Stromeyer und die "HIAG" (später Degussa-Great Lakes) blieben die einzigen Firmen von Weltrang. Weitere wichtige Firmen waren Standard Zahn (später Dentsply/Detry), die Ziegelei Emonts am Weiherhof und die Rieter-Werke. Aus der Rüstungsfirma Pintsch wurde nach dem 2. Weltkrieg (AEG-)Telefunken bzw. Siemens- Dematic, die heute Briefsortiermaschinen in alle Welt exportiert.

Im Bereich des sozialen Wohnungsbaus kann Petershausen ebenfalls Erstaunliches vorweisen: Die in den 1920er Jahren vom Spar- u. Bauverein errichtete Sierenmoossiedlung folgte dem Beispiel englischer Gartenstädte und gab vielen Familien u.a. aus Post- u. Bahn-Beamtenschaft ein lebenswertes und freundliches Zuhause. 1927 stemmte die Stadt, bzw. ihre Wohnbaugesellschaft (WOBAK) mit dem "Hindenburgblock" ein weiteres umfangreiches Wohnprojekt.

FriedhofshalleBismarckturmZwei markante Eckpunkte bildeten der 1912 fertiggestellte Bismarckturm, der sich in die Reihe der deutschen Bismarcktüme würdevoll einreiht und von der nachträglichen Verehrung für den "Eisernen Kanzler" zeugt. Im Jahr 1919 vollendete Oberbaurat Paul Jordan die Aussegnungshalle des Hauptfriedhofs.

Die Nazis veränderten das Gesicht Petershausens an manchen Stellen maßgeblich: Das "Sternenviertel" mit mehreren alten Häusern und einem namensgebenden Gasthaus mussten einer Straßen-Unterführung und dem nördlichen Brückenkopf der renovierten Rheinbrücke weichen. Das Kur- u. Hallenbad sollte den angeblich "heiteren" und weltoffenen Charakter des Regimes und sein Engagement für Sport und Freizeit betonen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden nur zögerlich Baulücken geschlossen: So entstanden u.a. zwischen Jägerkaserne und Wollmatinger Straße in den 1950er Jahren Wohnblöcke für die französischen Besatzungsoffiziere.
Mit dem Gebäude Theodor-Heuss-Straße 1 wuchs das erste Hochhaus in Konstanz, mit dem "Fernmeldehochhaus" (später Telekom/Nycomed) 1971 das größte seiner Art in der Stadt. Ein neuer Mittelpunkt erwuchs 1982/83 mit dem "Seerheincenter" am Zähringerplatz.

Das Seerhein-Ufer von Petershausen veränderte sich grundlegend: Alle ehemaligen Fabrikgebäude verschwanden zwischen 1980 und 2000 bis auf die denkmalgeschützten Gebäude "Stromeyer-Bleiche" (heute Gastronomie) und die "Schneckenburg" (heute "Kulturwissenschaftliches Kolleg der Universität Konstanz"). Eine "Bischofsvilla" im eigentlichen Sinn war Letzteres nie, allenfalls Sitz eines bischöflichen Beamten. Der Begriff hatte sich wohl irgendwann als besonders attraktiv etabliert. Das Haus war in der Industrie-Ära viele Jahre lang Wohnsitz der Familie Gabriel Herosè.

Die neue Wohnbebauung am Herosèpark setzt einen städtebaulichen Akzent, wobei sich die "Bürgergemeinschaft Petershausen e.V." gemeinsam mit der "Agenda Herosè" wirkungsvoll für die Erhaltung des noch verbliebenen Parkgeländes und der Verbreiterung des Uferstreifens einsetzte.

Die großräumige Verkehrsführung in Petershausen bekam durch die im Jahre 2000 endlich fertig gestellte Schänzlebrücke – deren Planung und Bau etwa 25 Jahre gedauert hat –, und die Fußgänger-/Radfahrerbrücke vom Ebertplatz zum Paradies, sowie den Umbau des Sternenplatzes mit Fahrspuren Richtung Mainau und Meersburg völlig neue Strukturen.

Kaum irgendwo sonst hat sich Konstanz so verändert wie in Petershausen. Heute hat der bevölkerungsreichste Stadtteil der Bodenseemetropole mit seinem West-/Ostteil und Königsbau über 24.000 Einwohner, und nimmt mit Ausnahme der Linie 11 den Ziel- und Durchgangsverkehr sämtlicher Stadtbus-Linien auf.

Sehr bemerkenswert sind sicher auch die zahlreichen Institutionen und öffentlichen Eirichtungen auf Kommunal- und Kreisebene in Petershausen, die wir in diesem und dem vorangegangenen Bericht bereits erwähnt haben. In ihrer Vielzahl und Bedeutung geben sie diesem zentralen Stadtgebiet eine für die gesamte Einwohnerschaft von Konstanz maßgebliche Infrastruktur.

Ralf Seuffert
Wolfgang Betz

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